Aus! Aus! Das (Fest)Spiel ist aus!
26 Tage, 1500 Künstler aus aller Welt und 22 Spielstätten – diese
Zahlen kommen mir so unwirklich vor und doch gehören sie der Vergangenheit an.
Die 42. Dresdner Musikfestspiele sind vorbei und ich fühle mich immer noch wie
in einem Traum gefangen.
Wie versprochen, möchte ich heute mit dir, liebe/r Leser/in, meine
Erfahrungen teilen, die ich während der Festspiele machen konnte.
Beginnen wir doch mit der wichtigsten Frage. Haben sich meine
Erwartungen erfüllt? Ja, definitiv. Sie wurden sogar noch übertroffen.
Hatte ich die Chance mich zu beweisen? Auch darauf kann ich nur mit ja
antworten. Nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals.
Habe ich die Nerven behalten, so wie ich es mir gewünscht habe? Nein, leider
war ich das reinste Nervenbündel.
Wenn ich ehrlich sein soll, war ich schon in den ersten Tagen des
Festivals überfordert. Warum? Es war gar nicht mal die Fülle an Arbeit und
Aufgaben, die mich erwarteten. Vielmehr das Tempo und der Zeitdruck haben mir
Probleme bereitet. Meistens habe ich irgendwas angefangen, dann kam etwas
Wichtigeres dazwischen und als das erledigt war, hatte ich meine eigentliche
Aufgabe schon wieder vergessen. Außerdem musste ich mich immer sehr an die
Zeitpläne meiner Arbeitskollegen halten, weil alle Abteilungen plötzlich eng
miteinander verbunden waren. Ich konnte also nicht nach meinem eigenen Tempo
arbeiten. Generell musste man immer den
Überblick behalten. Über alles. Zeitpläne, Transportlisten, wer gerade welche
Spielstätte betreut, wann welches Material wo abgeliefert werden muss oder wen
man im Notfall über welche Handynummer erreichen kann. Da kam es auch schon mal
vor, dass mir etwas entging und durch meine kleinen Fehler andere Kollegen
plötzlich Stress hatten. Natürlich tat mir das furchtbar leid, aber für viel
Scham und Selbstmitleid war einfach keine Zeit. Während der Festspielzeit heißt
es „Problem – Reaktion – Lösung“. Gar nicht erst lange darüber nachdenken.
Apropos Scham; in den letzten Tagen war es sehr oft der Fall, dass ich
mal nicht wusste, wie ich ein Problem am besten lösen sollte. Gefühlt musste
ich tausend Fragen stellen (häufig auch mehrmals dieselbe, weil ich schnell alles wieder vergessen hatte). Es hat mich
wirklich einiges an Überwindung gekostet, über meinen Schatten zu springen und
meine Kollegen auszufragen. Zum Glück waren wirklich alle enorm verständnisvoll
und haben sich genug Geduld und Zeit für mich genommen. Die
enge Zusammenarbeit mit allen Kollegen hat mir wirklich sehr gefallen. An dieser Stelle hat sich
meistens gezeigt, dass ich ein richtiges Mitglied des Teams bin und nicht nur
der kleine Bufdi. Wirklich gebraucht zu werden und Verantwortung zu tragen, hat
mich glücklich gemacht. Es ist nichts explodiert und es gab keine Verletzten
oder Toten durch mein Verschulden. Im Großen und Ganzen bin ich also ziemlich
zufrieden mit mir und meiner Arbeit. Im Grunde wusste ich ja schon, dass die
Hektik und der Stress eine Herausforderung sein würden, aber ich habe sie
gemeistert. Ich bin über mich hinausgewachsen und habe mich meinen Ängsten
gestellt. Darauf kann ich definitiv stolz sein.
Für manche Spielstätten musste auch mal vorgearbeitet werden. Fast
täglich hieß es, zig Kisten mit Werbematerial aus dem Keller holen und für den
Transport bereitstellen. Ich habe in der Zeit richtige Armmuskeln bekommen!
Jetzt weiß ich, wie man rückenschonend schwere Dinge hebt und der Keller, vor
dem ich anfangs teilweise echt Angst hatte, ist zu meinem eigenen kleinen
Königreich geworden. So oft war ich da unten!
Und natürlich ist mein persönliches Worst-Case-Scenario eintreten:
meine Chefin wurde leider krank und ich musste für zwei Tage als Vertretung
einspringen. Das hieß für mich ein Ansprechpartner weniger vor Ort, auch wenn sie mich
tatkräftig übers Telefon unterstützt hat. Dann wurde ich selber auch noch
krank. Ich, die letzte Bastion im Büro, wenn plötzlich eine Grippewelle
ausbricht, musste ausgerechnet zu den Festspielen krank werden! The show must
go on… Mit Dauerniesen, triefender Nase und verstopften Ohren wurde also
weitergemacht. Wenigstens zu Himmelfahrt konnte ich mich etwas ausruhen und ein
paar Stunden Schlaf nachholen.
Womit wir
auch schon bei der nächsten größeren Hürde angekommen wären: Schlafentzug. Ich
bin ein Mensch, der acht Stunden Schlaf am Tag braucht. Nicht mehr, aber bitte
auch nicht weniger! Wenn es darum geht, jeden Tag ein oder mehrere Konzerte zu
planen, sie zu überwachen oder einfach nur im Publikum zu sitzen und man dann
noch fast eine Stunde bis nach Hause braucht, dann kommt der Schlaf definitiv
zu kurz. Kaffee ist im letzten Monat zu meinem besten Freund geworden. Quasi
vom Nichttrinker zum Junkie. Jetzt bin ich auf Entzug und hoffe darauf, dass
sich mein Schlafrhythmus ohne die braune Plörre wieder normalisiert. Deshalb
war ich auch auf keiner einzigen Aftershow-Party (außer auf dem Empfang nach
dem Abschlusskonzert). Schlaf war mir einfach wichtiger. Wenn man jeden Tag von
9 Uhr morgens bis 0 Uhr oder länger arbeitet, kommt man leider auch zu nichts
mehr. Ich konnte weder kochen, noch mich am Haushalt beteiligen oder einkaufen.
Darum musste sich meine Mitbewohnerin alleine kümmern. Meine Ernährung ist auch
schlechter geworden. Zeit war ein kostbares Gut und dann konnte man sich auch
nicht mal eben raus in die Sonne setzen und ein gesundes Mittagessen genießen.
Ebenfalls wenig Zeit hatte ich für Hannah. Im
Büro haben wir uns seltener gesehen. Gemeinsame Mittagspausen fielen auch weg.
Generell war das Künstlerische Betriebsbüro, in dem Hannah arbeitet, immer mit
der Betreuung der Künstler, Proben und Spielstätten beschäftigt, während das
Marketing unter anderem im Büro die Stellung hielt und meistens erst gegen
Nachmittag zu den Spielstätten aufbrach. Aber wenn wir uns dann mal an einer
Spielstätte getroffen haben, hat es super viel Spaß gemacht, den
Backstagebereich zu erkunden und das Musikgeschehen um uns herum zu verfolgen.
Da sie wesentlich länger und öfter im Dresdner Kulturpalast (eine unserer
Hauptspielstätten) arbeitete, konnte sie mir gefühlt jeden Winkel zeigen. So
hatte ich nicht nur hinter der Bühne quasi mein eigenes Navigationssystem, das
mich herumführte, sondern durfte auch Orte wie Künstlergarderoben, Licht- und
Tontechnik bestaunen.
Und wen trifft man hinter der Bühne sonst noch so außer
uns abenteuerliche Bufdis? Genau, Künstler. Von international renommierten
Orchestern mit ihren Dirigenten bis zu weltberühmten Solokünstlern war alles
dabei. Die meisten habe lediglich bei ihren letzten Feinabstimmungen kurz vor dem
Konzert bewundern dürfen. Ein paar habe ich die Hand geschüttelt und wieder
anderen sogar das Hemd gebügelt (und ich muss zugeben, auf der Bühne, war keine
Falte mehr zu sehen). Barbara Hannigan (Sopranistin, Dirigentin und manchmal auch beides gleichzeitig!) durfte ich sogar ein Bündel der letzten
Flyer ihres Programms überreichen, an denen ich mitgearbeitet hatte und die ich
noch eigens für sie aufbewahren konnte.
Wenn ich daran zurückdenke, wie ich Anfang des Jahres noch nie ein
klassisches Konzert besucht hatte, hätte ich mir niemals träumen lassen, dass
der Konzertbetrieb hinter der Bühne so aufregend sein könnte. Schlussendlich im
Konzert zu sitzen, bringt alle Glücksgefühle noch einmal auf ein ganz anderes
Level. Erst als ich das übergroße Logo der Festspiele über der Bühne habe
hängen sehen, wurde mir schlagartig bewusst, dass ich Teil eines großen Ganzen
bin. Endlich das Ergebnis der monatelangen Arbeit live mitzuerleben. Das
Strahlen der Menschen im Publikum zu sehen und zu wissen, wofür man gearbeitet
hat. Das Programmheft in den Händen zu halten und die eigene Bildauswahl oder
Übersetzung wiederzuerkennen. Den Applaus zu hören, um festzustellen, dass ein
Teil davon, sei er auch noch so winzig, dir ganz allein gilt. All das hat mich
bei jedem Konzert aufs Neue überwältigt und all die Anstrengungen des Tages
wieder aufgewogen.
Am Ende ist es doch wieder die Musik, die die größte Rolle in meinem Alltag während der Festspiele gespielt inne hatte. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so intensiv und lange mit Musik aller Art auseinandergesetzt. Besonders die Klassik hat mich von Tag zu Tag wieder überrascht. Sie kann alle erdenklichen und manchmal auch teilweise sehr metamorphe Gestalten annehmen. In manchen Konzerten war ich einfach nur sprachlos und kofus. In anderen musste ich durchgängig weinen, obwohl ich kein Wort Italienisch spreche. Es kommt mir vor wie ein kleines Wunder, dass es ein Orchester mühelos schafft, Emotionen und Gefühle in einem zu wecken, die die heutige Popkultur nicht einmal ansatzweise in mir hervorzurufen weiß. Die Klassik hat sich in mein Herz geschlichen. Mal heimlich still und leise. Mal wortwörtlich mit Pauken und Trompeten. Und nun ist sie mein ganz persönlicher Soundtrack für einen Monat voller Anstrengungen und wunderschöner Erinnerungen.
Aber jetzt wurde genug gelabert! Es folgen ein paar meiner Erlebnisse in Bildern:
Wirklich sehr stolz war ich auf meine Fingernägel, die ich zu beginn des Monats passend zu unserem Motto "VISIONEN" gestaltet hatte.
Einmal den Konzertsaal des Dresdner Kulturpalastes für sich alleine haben...naja fast. An diesem Abend gab es außer mir scheinbar noch andere "frühe Vögel". Nicht zu leugnen ist allerdings, dass es sich hierbei um ein Meisterwerk der Akkustik handelt. Selbst die Stühle sind so konzipiert, dass sie keinerlei Schall absorbieren und der Zuhörer jeden noch so kleinen Ton vernehmen kann.
Wenn man an seinem freien Tag "ganz zufällig" am Kulturpalast vorbeiläuft und sich keine 5 Minuten später im Konzert wiederfindet. Da Hannah mir ihre Karte für die zweite Hälfte für Anne-Sophie Mutter in die Hand gedrückt hatte, dürften sich einige Konzertbesucher über mein legeres Outfit gewundert haben. Mit Jeans und Rucksack im Mutter-Konzert - das muss man sich erst einmal trauen!
Einmal Herrin über Licht- und Ton! Hier haben sich heimlich zwei Bufdis in die Licht- und Tontechnik des Kulturpalastes geschlichen. Okay, so heimlich war der Eindblick hinter die Kulissen doch nicht - der Techniker hatte uns nettterweise mitgenommen.
Vielleicht ein bisschen dunkel, aber definitiv mein absolutes Highlight während der Festspiele - die Jazzrausch Bigband. Die Musiker haben uns sogar ihr Markenzeichen ins Gesicht gemalt, sodass wir aussahen wie richtige Bandmitglieder! Die Musik war einfach nur genial und ich habe den ganzen Abend durchgetanzt. Ach ja, Grimassen schneiden kann ich übrigens auch noch...
Hier mal zwei Videos von diesem gigantischen Abend mit der Bigband. Super Stimmung, oder?
Das Abschlusskonzert mit Eric Clapton darf natürlich auf der Rangliste meiner kleinen Highlights nicht fehlen. Auch wenn ich anfangs etwas skeptisch war, da Clapton nicht ganz meinem Musikgeschmack entspricht, war das Konzert doch ein krönender Abschluss für diesen aufregenden Festspielmonat.
(Auf dem anschließenden Empfang traf ich sogar auf den Oberbürgermeister von Dresden, Dirk Hilbert, und Thomas de Maizière.)
Liebe Nachfolgerin (mittlerweile kenne ich schon deinen Namen ^^), hoffentlich konnte ich dich ein bisschen über den Festspielmonat aufklären. Ich bin mir sicher, dass du deine Festspiele mit Bravour meistern wirst. Wenn ich das irgendwie hinbekommen habe, dann du mit Leichtigkeit. Manchmal macht uns das große Unbekannte Angst, manchmal lässt man sich von der Nervosität anderer anstecken, manchmal hat man Angst vor Fehlern. Hilfe, was habe ich in dieser Zeit alles falsch gemacht! Irren ist menschlich und es wird niemandem der Kopf für Fehler abgerissen. Meistens erscheinen die eigenen doppelt so groß, als sie es in Wirklichkeit sind. Wenn du alles Schritt für Schritt machst und dir ab und zu die Zeit gönnst, um tief durchzuatmen und deine Gedanken zu sortieren, dann kann eigentlich nicht viel schief gehen.
Bis bald, Annalena.





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